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Siegfried Lenz lässt seinen Ich-Erzähler in aller Ruhe die Geschichte seiner ersten großen Liebe und seines ersten großes Verlustes erzählen. Die sicherlich intensiven Gefühle, die Christian in dem geschildertem Zeitraum durchleben, werden jedoch nicht in der erwarteten Emotionalität erzählt.
Trotz dieser Diskrepanz zwischen Gefühls- und Erzählwelt zieht die Sprache den Leser in Bann. Siegfried Lenz erzählt diese unerhörte Begebenheit (ein wichtiger Bestandteil der Novelle) in aller Behutsamkeit und schafft mit dieser Novelle von 2008 eine Gegenwelt zu unserem boulevardesken Medienzeitalter. Oder wie würden Zeitschriften oder Magazine ein solches Ereignis einer Liebesaffäre zwischen Schüler und Lehrerin darstellen? Diese Novelle will jedoch nicht polarisieren, sondern will Mitfühlen und Mitleiden. Gleichzeitig zieht sie den Leser nicht zu nahe heran, sie lässt ausreichend Distanz, damit das Ganze nicht in falsche Sentimentalität abdriftet.
Einige Fragen tauchen bei der Lektüre auf, die sich auch am Ende nicht beantworten lassen. Die Geschichte spielt in einer ländlichen Gegend, in der sich die Menschen kennen und nicht vieles von ihnen wirklich verborgen bleibt. Auch in der Geschichte wird deutlich, dass diese heimliche Liebesbeziehung nicht wirklich heimlich ist. Viele Mitmenschen von Christian und Stella wissen von der Romanze, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Aber ist das wahrscheinlich? Gibt es nicht immer irgendwelche Neider, die ihr Wissen ausposaunen?
Insgesamt ist „Schweigeminute“ ein wunderbares Buch. Die zentrale Aussage lautet für mich: „... und spürte einen unwillkürlichen Schmerz bei dem Gedanken, daß ich etwas versäumt hatte oder daß ich um etwas gebracht worden war, das ich mir mehr gewünscht hatte als alles andere.“
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